Der Wind brachte die Asche eines Angriffs und bedeckte unseren Garten mit Staub.

Hanna Kopylova (34) hofft, dass der Krieg im Sommer 2022 vorbei ist und ihre Kinder in der Ukraine ab Herbst wieder zur Schule gehen können.

In meiner Nachbarschaft in Kiew gibt es eine kleine Gemeinschaft von Hundebesitzern – jeden Tag trifft man die gleichen Leute zur gleichen Zeit. Wie immer musste ich am Morgen des 24. Februar 2022 mit meinem Hund Gassi gehen. Ich fühlte mich sicher, weil meine Wohnung in der Nähe einer orthodoxen Kirche liegt und auch Russen dieser Religion angehören. Trotz Kriegsbeginn gingen wir Hundebesitzer also unsere gewohnten Wege, während die Menschen in der Umgebung große Angst hatten. Panisch warfen sie ihre Habseligkeiten in Autos, während wir uns im Vorbeigehen unterhielten:

Guten Morgen!
Hallo! Der Krieg hat begonnen …
Hm, das ist mir aufgefallen.
Na dann, bis heute Abend!
Ja, auf Wiedersehen!

Es war surreal. Meine Kinder und ich suchten Schutz im Haus meiner Eltern, das in einem kleinen Dorf zwanzig Kilometer außerhalb von Kiew liegt. Mit Familie, Freunden und acht Kindern waren wir insgesamt 25 Leute und ehrlich gesagt haben die Kids zwei Wochen lang gefeiert. Sie lesen eben keine Nachrichten. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann Mitte März in den Supermarkt ging, um Milch und Nudeln zu kaufen, aber die Regale waren leer. Mir wurde klar, dass wir der Ukraine nicht helfen, wenn wir bleiben, weil während des Krieges alle Ressourcen von den Soldaten benötigt werden. Außerdem kamen wir eines Morgens in unseren Garten, der mit einer dünnen Staubschicht bedeckt war: Der Wind hatte die Asche aus dem nahe gelegenen Gostomel nach einem Angriff herbeigetragen. Es war höllisch beängstigend.

Ich konnte nicht mit meinem E-Auto auf die Flucht gehen – es ist einfach nicht langstreckentauglich.

Also nahm ich den großen Jeep meines Vaters und machte mich mit meinen Kindern und meinem Hund auf den Weg. Wir haben es bis zum Lago Maggiore geschafft, wo meine Familie ein Ferienhaus besitzt. In Italien habe ich kein Einkommen. Niemand kauft jetzt Bücher oder interessiert sich für Werbung. Trotzdem bin ich hoffnungsvoll, denn die Werbung war das Letzte, was heruntergefahren und das Erste, was nach dem Krieg wieder laufen wird. Außerdem habe ich Ersparnisse für den sogenannten “schwarzen Tag”, wie wir in der Ukraine das Schlimmste, was einem passieren kann, nennen. Also ein “Worst-Case-Szenario” – Ich habe meine Ersparnisse nicht angerührt, weil man nie weiß, was im Leben passiert, und jetzt ist der schwarze Tag da.

„Mein Verstand wusste, 
dass ich in Sicherheit war, aber mein Herz raste weiter in Panik – bis ich nach Kiew zurückgekehrt bin."
(Hanna Kopylova)

In den zwei Monaten, die ich in Italien lebe, habe ich immer eine Herzfrequenz von 110 Schlägen pro Minute. Mein Normalpuls liegt bei etwa 80. Es fühlt sich an, als hätte man ständig Panikattacken ohne Auslöser. Es ist nicht wegen schlechter Nachrichten, nein. Es ist immer so – konstant 110 Schläge. Ich kann nicht mehr ruhig sein. Ist das nicht seltsam?

Jetzt, während wir sprechen, habe ich mich einem Freiwilligenteam in Kiew angeschlossen. Ich hatte entschieden, für zwei Wochen im Mai in die Ukraine zurückzukehren und etwas mit meinen Händen zu tun. Wir sind eine Gruppe von 600 Leuten und helfen, zerstörte Gebäude in den befreiten Gebieten zu säubern. Trotz des hiesigen Luftalarms dreimal pro Tag, habe ich keine Panikattacken mehr. Meine Herzfrequenz ist wieder normal.

„Wissen Sie, Italien ist schön.
Aber du kannst die Schönheit nicht sehen,
genauso wie man das Leben nicht genießen kann
wenn es in deinem Land Krieg gibt."

Ich bin demnach jetzt in meiner „alten“ Wohnung, von der ich mir im Februar 2022 nicht sein konnte, ob ich sie jemals wiedersehen würde. Ich habe einige frühere enge Freunde getroffen, hauptsächlich Männer in der Stadt, die in den letzten Monaten in Kiew geblieben waren. Es ist ein Phänomen, aber es scheint, dass wir nicht mehr gut kommunizieren können. Es ist kein Mangel an Worten, es ist die fehlende Verbindung. Wir standen uns vor dem Krieg sehr nahe und jetzt sind wir in einer anderen Stimmung – auf einer anderen Welle – weil wir an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen hatten.

Es beweist mir, dass jeder Ukrainer in diesem Krieg auf die eine oder andere Weise Schaden nimmt – jeder trägt seine Narben.


Interview: Sandy Bossier-Steuerwald

Foto Oben: © Mariko Becher / Foto Mitte: ©Sasha Maslov

The Wind brought the Ashes of an Attack and covered our Garden with dust.

Hanna Kopylova (34) hopes that the war will be over in the summer of 2022 and her kids can go back to school in Ukraine.

In my neighborhood in Kyiv there is a small community of dog owners – every day you meet the same people at the same time. As always, I had to walk my dog on the morning of 24 February. I felt safe because my flat is located near an Orthodox church and Russians also belong to that religion. Despite the start of the war, we dog owners strolled along our usual paths, while people around were very scared. In panic, they threw their belongings into the cars while we chatted passing:

Good morning!
Hello! The war started…
I’ve noticed that.
Well then, see you in the evening!
Yes, bye-bye!

It was surreal. My children and I sought shelter at my parents’ house, located in a small village twenty kilometers outside of Kiev. With family, friends and eight children, we were 25 people altogether and to be honest, the kids partied for two weeks. They don’t read the news. Sometime in mid-March, I remember going to the grocery store to buy milk and pasta – but the shelves were empty. I realized that we aren`t helping Ukraine, if we are staying, because during war all resources are needed by the soldiers. Moreover, it happened that we came out into the backyard one morning and the garden was covered with a thin layer of dust. The wind had carried the ashes over from nearby Gostomel after the shelling. It was scary as hell.

I couldn’t go on the run with my E-car, it’s not usable for long distance.

So, I took my father’s big jeep and went on the run with my kids and my dog. We made it to Lake Maggiore, where my family owns a holiday house. In Italy, I have no income. Nobody buys books now or is interested in advertising. Still, I am hopeful because advertising was the last thing to close and the first thing to reopen after the war. Besides, I have savings for the “black day”, as we call in Ukraine the worst that can happen to you, not to say, “worst case scenario”. I never touched my savings because you never know what happens in life, and now the black day is here.

"My mind knew I was safe, but my heart kept racing in panic – until 
I returned to Kyiv."
(Hanna Kopylova)

For the two months that I have been living in Italy, I always have a heart rate of 110 beats per minute. My normal rate is about 80. It feels like continuously have panic attacks without a trigger. It’s not because of bad news, no. It’s always like this, 110. I cannot be calm, anymore. Isn’t that strange?

Now, as we speak, I am joining a volunteer team in Kyiv. I had decided to return to Ukraine for two weeks in May and do something with my hands. We are a group of 600 people and help to clean up destroyed buildings in the liberated areas. Even with these air alarms here three times a day, I don’t have panic attacks anymore. My heart rate is back to normal.

"You know, Italy is beautiful.
But you can't see the beauty,
just as you can't enjoy life
when there is war in your country."

I stay in my “old” apartment from which I was not sure in February, if I would ever see it again. I have met some former close friends, mostly men in town right now, who had remained in Kyiv the past months. It’s a phenomenon, but it seems that we cannot communicate anymore. It’s not a lack of words, it’s the missing connection. We were very close before war and now we are in different mood -on a different wave- because we were in different places with different problems to deal with.

It proves to me that every Ukrainian is damaged in this war, in one way or another, but everyone bears their scars.


Interview: Sandy Bossier-Steuerwald

Photo above: ©Mariko Becher/ Photo within: ©Sasha Maslov