Unter unserem Ehebett war das Maschinengewehr am sichersten aufgehoben.

Im Moment fühlt sich Eleonora Kyrylova (41) wie eine Obdachlose. „Obwohl ich bei einer tollen deutschen Familie lebe, bleibe ich ein Gast. Mein Sohn sagt: Mama, ich will nicht in irgendein Bett gehen, ich will in MEIN Bett! Aber ich kann ihm diesen Wunsch nicht erfüllen.

In den ersten Kriegstagen kam mein Mann Kostiantyn nicht jeden Abend heim. Wenn doch, dann stand er in einer kugelsicheren Weste und einem Gewehr in der Tür. Damit unsere Söhne es nicht umreißen oder darüber stolpern, deponierte mein Mann es am sichersten Ort unserer Wohnung: Unter dem Ehebett. Seit Ende Februar gehörte er plötzlich zu den neuen, militärischen Kontrollpunkten unserer Stadt. Ich hätte nie gedacht, dass uns so etwas passiert, aber so ist das Leben.

Früher hatten wir keine Waffe zuhause, früher waren wir eine ganz normale Familie.

Tscherkassy ist eine Großstadt mit 200.000 Einwohnern, 180 km von Kiew entfernt. Wir wohnen im obersten, zehnten Stock eines schicken Mehrfamilienhauses, unweit des Flussufers zum Dnipro. Letzten Sommer haben wir uns SUPs gekauft und paddelten oft mit dem Board raus, gingen schwimmen oder in die Sauna. Ich liebe Outdoor-Aktivitäten, nahm im Oktober 2021 noch am „Irdyn Trail Run“ teil. Ich arbeitete zwar als Beamtin mit 40 Stunden plus pro Woche, aber in der Freizeit waren meine Familie und ich immer unterwegs.

Der Krieg hatte begonnen, die Schule war geschlossen, aber ich musste ins Büro gehen.

Im Staatsfinanzdienst der Ukraine gibt es kein Homeoffice – weder zur Coronakrise noch im Kriegsfall. Zuerst stand ich unter Schock und ließ die Kinder einfach allein zu Hause. Als der Sirenenalarm losging, war ich so schrecklich besorgt, dass ich sie daraufhin mit ins Büro nahm: einen Tag, zwei Tage. Das war langweilig für die Kinder und stressig für mich, denn ich konnte mich ja kaum um sie kümmern.

Im kalten Krieg verteidigte mein Vater als sowjetischer Soldat die Westgrenze für Russland, heute verteidigt mein Mann als ukrainischer Soldat die Heimat gegen Russland.

Mein Vater war fünf Jahre als sowjetischer Soldat in Wismar, seinerzeit DDR, stationiert, als ich 1980 auf die Welt kam. Mit einem Jahr zogen meine Eltern mit mir in die Ukraine. An diese Zeit habe ich keine konkrete Erinnerung, aber meine Mutter hat immer von Deutschland geschwärmt, vielleicht kommt daher meine Affinität zur Sprache. 1997 lernte ich Kostiantyn im Studium kennen. Wir hatten zusammen Finanzen studiert. Nach dem Wehrdienst bekam er ein Jobangebot vom ukrainischen Staatssicherheitsdienst, um ökonomischen Problemen zu begegnen: So arbeitete mein Mann die vergangenen 15 Jahre für das Militär – nicht als Soldat, sondern im Kampf gegen die Korruption im Land. Er war viel unterwegs und durfte mir selten sagen, wo sein Einsatz stattfand. Im Zuge der Krimkrise vor acht Jahren – ich hatte gerade unseren zweiten Sohn Taras bekommen – musste Kostiantyn dann für fünf Monate in diese Krisenregion.

Am 24. Februar 2022 wurde meinem Mann das Gewehr überreicht.

Die erste Kriegsnacht 2022 schliefen wir in einem Bunker in der Nähe unseres Hauses. Er war zu Fuß erreichbar, aber wir hatten keinen Schutz auf dem Weg, nicht mal einen Helm. Zudem war der Bunker total überfüllt. Also legten wir unsere Matratzen auf den Boden eines kleinen, privaten Kellers. Immer, wenn der Sirenenalarm begann, mussten wir uns und die Kinder schützen. Besonders in der Nacht war es schwierig, sie zu wecken, denn sie schliefen so tief und der Kleine sagte zu mir:“Mama, ich kann nicht aufstehen, um in den Bunker zu gehen, ich bin so müde!“

Ich wollte nicht Opfer sein, wie die Menschen in Bucha und Mariupol. Ich habe nur ein Leben und das Wichtigste im Leben sind meine Kinder.

Aber ich drängte und schrie ihn an: „Ich kann dich nicht tragen, Taras! Du wiegst 30 kg und ich habe einen Rucksack und den Hund! Mach schneller! Schneller! Schneller!“ Meine Nervosität war spürbar und anhaltend, bis selbst mein Mann sagte: „Du störst hier, ich kann meine Arbeit nicht richtig machen, wenn ich auf euch aufpassen muss. Geht, bringt Euch in Sicherheit!“ Das klingt jetzt komisch, nicht wahr? Aber diese Situation konnte wahrlich nicht ewig so weitergehen. Nach zwei Wochen im Krieg entschied ich, es ist genug für mich, es ist genug für die Kinder. Eines nachts nahm ich meinen Rucksack, zwei Hosen, unsere kleine Hündin und floh mit meinen Söhnen aus der Ukraine.

Mein Herz war kaputt und ich weinte, weinte, weinte…

Als wir die Ukraine am 5. März 2022 verließen, wollte ich zunächst in Polen oder Tschechien bleiben. Ich dachte, der Krieg würde nur wenige Wochen andauern – nun bin ich seit vier Monaten in Bayern. Zunächst war es sehr beschwert, ich kannte niemanden, saß nur rum, las aus Langeweile Nachrichten und weinte, weinte, weinte. Dann dachte ich: „So kann das nicht weitergehen, das bekommt meinem Herzen nicht.“

Mittlerweile gehen beide Jungs in die Schule und ich besuche einen Sprachkurs. Zudem habe ich mir einen Minijob im Getränkemarkt gesucht: „25,56 € bitte! Danke, hier sind 12 Cents zurück!“ Ich versuche zu verstehen, was die Kunden von mir wollen. Dabei mache ich Fehler und kann meine Gefühle noch nicht umfassend ausdrücken, aber es stört mich nicht. Mein Ziel ist es, am ersten Dezember die Sprachprüfung zu bestehen, denn deutsch wird mir helfen, sowohl hier als auch perspektivisch, in der Ukraine.

Das erste Foto (links) zeigt mir, was ich für eine schöne Frau in der Ukraine war. Ich habe mich jeden Tag sehr hübsch gemacht, meine Haare gepflegt, hohe Schuhe getragen und mich wohl gefühlt. Die erste Zeit in Deutschland war es mir dagegen egal, wie ich aussah. Ich trug eine Jogginghose und einen schwarzen Hoodie und ich wünschte mir nichts mehr als bequeme, warme Kleidung. Jetzt mache ich wieder Sport, gehe einmal pro Woche zehn Kilometer laufen. Ich wünsche mir, dass Kostiantyn mir dieses beige Kleid per Post schickt, denn es ist mein Lieblingskleid.

"Ich habe keine Ahnung, wann ich meinen Mann wiedersehe,
aber alles wird kommen, zu seiner Zeit -
vielleicht nur etwas später als gedacht."

Hauptsache wir sind am Leben. Wir blicken optimistisch in unsere Zukunft. Ich versorge unsere Kinder und er versorgt die Heimat und eines Tages werden wir wieder vereint sein. Ich glaube unsere Söhne sind stolz auf ihren Vater, aber sie brauchen ihn gleichermaßen. Sie sind Jungs und Jungs verlangen männliche Energie, die ich nicht geben kann. Ich kann kochen, aufpassen und unsere Söhne umsorgen, aber ich kann ihnen nicht den Vater ersetzen.

Söhne verlangen männliche Energie, die ich nicht geben kann. Ich bin nur eine Mama.


Interview: Sandy Bossier-Steuerwald. Foto 1 & 3: privat, Foto 2: © Vasylevska Tetiana

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